Ich weiß noch nicht genau, wohin dieser Eintrag führen wird, was er aussagen soll. Ich weiss nur, dass ich mir ein paar Dinge von der Seele schreiben muss.

Ich bin bei meinen Eltern zuhause. Heute war ich beim Friseur. Ich hatte damit gerechnet, dass meine Stammfriseuse mir einen Vortrag darüber halten wird, dass meine Haare blondiert sind. Aber es kam nix. Stattdessen verblüffte ich sie damit, dass ich einen Pixie Cut wollte. Weil ich noch ein paar Farbreste in den Spitzen hatte, die ich nicht mehr sehen konnte. Ich bin damit dieses Jahr Haarlängentechnisch von etwa Achselhöhlenlang auf Erreichen-gerade-noch-so-die-Ohren-kurz gewechselt. Von rötlich-braun zu dem Honigblond, das ich immer wollte. Es fühlt sich an, als hätte ich meine Haare hochgesteckt und müßte jetzt nur die Klammer lösen, damit der Nacken nicht mehr friert. Aber da ist keine Klammer. Da sind keine Haare, die in den Nacken fallen können. Und ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Ich hab eh so feine Haare. Es fühlt sich falsch an. Es fühlt sich befreit an. Es fühlt sich merkwürdig an. Ich muss abwarten, wie sie morgen nach dem Duschen fallen.

Ich bin bei meinen Eltern zuhause. Ich bin gleichzeitig wieder 14 und fast 40. Ich bin Tochter, Teenager, kann man machen, was ich will. Und merke die zunehmende Verantwortung, nach ihnen zu schauen, ihnen zu helfen, mitzumachen, erwachsen zu werden. Ich will hier sein und doch in meine Wohnung. Ich will hier nicht weg und aber doch. Ich stehe irgendwo mittendrin und weiß noch nicht mal, in was ich da stehen. Sturm, Meer, Sumpf…es könnte alles davon sein und doch etwas ganz anderes. Also weiß ich auch nicht, wohin ich gehen soll, weil egal wohin ich mich wende, ich werde auf der anderen Seite was verpassen. Ich werde irgendwas nicht mitbekommen. Und ich mag dieses Gefühl nicht. Also mache ich nichts und verpasse noch viel mehr. Und mag das noch weniger.

Ich habe heute einige alte Nachrichten von Demetrius gelesen. Aus der Zeit, als er mir das Herz gebrochen hat und wir kurz die beste Freundschaft miteinander hatten. Ich vermisse ihn. Ich vermisse diese Zeit. Als ich abends nach Hanau gefahren und mit ihm Lasertag spielen gefahren bin. Als wir stundenlang miteinander geschrieben und uns unsere Tage erzählt haben. Ich hätte das gern wieder. Mit ihm, mit einem anderen, ….Ich will das Gefühl wieder. Dieses Gefühl, das man nicht beschreiben kann, es ist nicht nur Geborgenheit, es ist nicht nur Zufriedenheit, es ist aber auch nicht angekommen sein…es ist sein, und genug sein, und alles sein, und alles können, und alles haben und noch viel mehr haben können. Dieses Unbeschwertsein…das will ich alles wieder.

Gleichzeitig bin ich immer noch, immer wieder so wütend auf ihn. Wegen der ganzen Ladengeschichte. So wütend…diese Ignoranz von ihm, diese Kaltschnäuzigkeit, dass er mich da mit rein gezogen hat… Dass er meine Gefühle für ihn so eiskalt ausgenutzt hat. Um die Schlampe zu versorgen. Mich nach seiner Pfeife hat tanzen lassen, um sich mit ihr ein schönes Leben aufzubauen.

Mir macht die Abschottung zu schaffen. Ich habe es meiner Friseurin heute so erklärt: einerseits erholt sich die Seele gerade von allem ganz gut, von der Arbeit, von dem Stress. Aber die Ängste fangen an, rein zu kicken, die Einsamkeit, und dadurch fährst du Achterbahn. Durchatmen von 18 Jahren Schichtdienst, gepaart mit der Frage, wie wird das alles weitergehen? Was, wenn die Beschränkungen so heftig werden, dass ich nicht mal mehr zu meinen Eltern kann? Wo kann ich dann noch hin? Ich hab sonst niemanden. Meine Mädels kann ich derzeit nicht sehen, wenn dann nur einzeln, und das ist irgendwie nicht das gleiche. Der beste Kumpel hat jede Menge eigene Probleme, die er stemmen muss, bei denen ich ihm nicht helfen kann. Denn wenn ich es täte, täte es mir ebenfalls nicht gut und würde mich in einen ähnlichen Strudel reissen (in der Hinsicht war Demetrius der bessere Umgang, auch wenn das gerade merkwürdig klingt). Arbeitskollegen sind Arbeitskollegen, ein paar sind nett, aber ich möchte sozusagen keinen Kontakt mit den meisten über die Stechuhr hinaus. Weil, …Arbeits- und Privatleben, das vermischt man nunmal nicht. Auch das habe ich schon auf die harte Tour gelernt. Und der Dachdecker, naja, der ist quasi mein „Knuffelkontakt“, aber mehr nicht. Das ist Sex, auch mit kuscheln, aber ohne groß Gefühl. Er hat bis heute nicht nach meinem Namen oder meiner Nummer gefragt. Das finde ich merkwürdig. In ner Zeit, in der das mit als erstes von den Leuten gefragt wird. Es ist toll, solange es geht, aber sobald ich auf der anderen Seite der Tür stehe, fühl ich mich … abgeschoben. Libido befriedigt, aber Akku nur halb geladen. Da fehlt mir das Gefühl wie oben beschrieben. Und bei ihm wird das auch nicht mehr, das wissen wir beide unausgesprochen irgendwo.

Gleichzeitig die finanzielle Seite. Ich erwarte immer noch das Insolvenzverfahren. Und dass ich einen Teil davon zu zahlen habe. Papa will, dass ich Wohneigentum kaufe, und hat vollkommen unrealistische Vorstellungen davon, was es werden soll (70qm 3ZKBB mit Garage/TG-Stellplatz für max 200k – im Großraum Frankfurt. Ja ne, is klar). Der Flughafen steckt in einer Krise, wie wohl keiner je erwartet hätte, dass sie so ausfallen könnte. Wenn ich heute bei „Wer wird Millionär“ o.ä. 5k – 50k gewinnen würde, würde das unter „reicht gerade so“ fallen. Mein Onkel meinte vor ein paar Jahren mal, ne Million ist heutzutage nix mehr. Ich verstehe immer besser, was er damit gemeint hat. Und das belastet mich. Wenn ich eine Fee mit den berühmten drei Wünschen treffen würde….finanzielle Freiheit und Unabhängigkeit, n Kerl, ne Wohnung. Das wären wohl meine drei Wünsche. Wobei ich die Wohnung auch mit der finanziellen Freiheit finanzieren könnte, also würde ich wohl „Rache an Demetrius“ als drittes nehmen und da … naja.

Ich fühle mich, als wäre ich frei wie nie, und ersticke trotzdem unter all dem Druck. Aber ist der Druck real? Bilde ich ihn mir ein? Wieviel davon lastet wirklich auf mir, wieviel lade ich mir selber auf? Bin ich wirklich frei? Wie frei bin ich? Verändere ich mich gerade? Oder verändert sich mein Blick auf alles? Aber warum? Was löst diese Veränderung aus? In welche Richtung wird sie gehen? In welche Richtung werde ich gehen? Ich welche Richtung soll ich gehen? Es gibt so viel zu sehen, wo anfangen? Und warum will ich immer dann weg, wenn mich irgendetwas, meist der Dienstplan, zuhause hält?

Sissi. Ich bin Sissi. Kaiserin von Österreich. Herrscherin über ein riesiges Reich. Aber eben jenem unterstellt.

Ein Flugarzt sagte mal zu mir, dass ich wohl am Sissi-Syndrom leide, es sei typisch für meine Berufsgruppe. Immer perfekt sein wollen, immer alles zur Zufriedenheit anderer erledigen wollen, aber nie mit sich selbst zufrieden sein.

Und wenn ich endlich mal zufrieden mit mir bin, dann kommen andere und stellen meine Zufriedenheit an mir in Frage. „Du musst abnehmen, du bist zu dick“, „willst du nicht langsam mal nen Mann?“, „sei vorsichtig mit dem“, „Du bist zu chaotisch“, „Sie sind ja krank, bei dem, was Sie da schreiben!“.

Wie sollst du das denn aushalten? Wie sollst du da die Ruhe bewahren und drüber stehen? Wie sollst du dich selbst annehmen, wenn keiner sonst es tut? Wenn jede Veränderung, die du an dir vornimmst, von irgendeiner Seite als „falsch“ deklariert wird? Wie sollst du da nicht mürbe werden?

Falco fragte in „Jeanny“ einst, „Wer hat verloren? Du dich, Ich mich oder Wir uns?“. Eine gute Frage. Aktueller denn je. In jeder Hinsicht, wenn ihr mich fragt.


Aruba

Geboren 1981, Fränggin, im hessischen Exil lebend weil am Flughafen Frankfurt beschäftigt, Katzenpersonal, Dreirad-Rollerfahrerin, BDSM-Interessierte, übergewichtig na und?, Schokoladenliebhaberin