Wie soll ich dieses Buch beschreiben? Ein bisschen ist es ein Thriller, ab auch wieder nicht. Ein bisschen ist es ein Krimi, aber auch wieder nicht. Ein bisschen ist es ein Lebensfindungsroman, aber auch wieder nicht. Es ist wie ein Überaschungsei: so viel und doch nix richtig.

Es gibt drei Handlungsstränge, die abwechselnd erzählt werden und miteinander verwoben sind. Clara ist acht Jahre alt, lebt im kanadischen Solace nord-östlich von Toronto im Jahr 1972 und hat es sich zur Hauptaufgabe gemacht, aus dem Fenster zu schauen und alles so zu lassen, wie es ist. Das heisst, wie es bis vor kurzem noch war, als ihre große Schwester noch zuhause war. Die ist nämlich spurlos verschwunden, zumindest für die Erwachsenen. Clara weiß, dass sie weggelaufen ist, denn das hat sie ihr gesagt. Und damit Rose wieder nach Hause kommt, darf sich nichts verändern, muss alles so bleiben wie es vor Roses Weglaufen war. Das zumindest glaubt Clara. Aber da passiert schon das erste Unglück: in das Haus ihrer alten Nachbarin Mrs Orchard, die für ein paar Tage ins Krankenhaus musste, zieht ein fremder Mann ein. Und er verändert einiges in dem Haus, stellt Mrs Orchards Sachen woanders hin und seine dafür auf. Das geht nicht, beschließt Clara, denn Mrs Orchard soll auch wieder alles so vorfinden, wie es sich gehört, wenn sie aus dem Krankenhaus wiederkommt. Und dann kommt auch Rose ganz sicher wieder, daran glaubt Clara fest.

Liam Kane hat ein Haus geerbt, irgendwo mitten im Nirgendwo von Ontario. Er weiß zwar noch, dass Mrs Orchard mal eine Nachbarin seiner Familie war, aber da war er drei Jahre alt. Jetzt hat sie ihm ihr Haus vermacht und er weiß nicht, was er damit machen soll. Also erstmal hinfahren, begutachten und einziehen, um den späteren Verkauf vorzubereiten, denkt er sich. Passt ihm sowieso gerade ganz gut, weil Job weg, Frau weg, Wohnung in Toronto weg. Da kann er sich auch auf dem Land erstmal neu orientieren und nachdenken, wie es weiter gehen soll mit diesem Leben. Am Haus muss einiges gemacht werden, das Dach ist undicht, das Bad hat Schimmel, die Veranda ist auch in üblem Zustand….wenn er das den Winter über in Ordnung bringt, kann er das Haus vielleicht im Frühjahr ganz gut verkaufen. Also mit dem Sheriff der Stadt und dem Heimwerker-für-alles der Stadt angefreundet, dem einen bei ein paar Heimwerker-Aufträgen geholfen, mit dem anderen immer mal wieder ins Gespräch kommen, dann wird das schon. Nur das kleine Mädchen aus dem Nachbarhaus ist ziemlich merkwürdig drauf, beobachtet ihn den ganzen Tag. Vom Sheriff erfährt er, dass ihre Schwester vor kurzem weggelaufen ist.

Mrs Orchard liegt im Krankenhaus. Sie weiß, dass sie nicht mehr nach Hause gehen wird, auch ohne ärztliche Diagnose kann sie das spüren. Sie hat die kleine Clara von nebenan damit beauftragt, sich um ihren Kater zu kümmern. Jetzt erzählt sie ihrem vor Jahren verstorbenen Mann, dass sie das Haus Liam Kane vermacht, dem Jungen, der mal neben ihnen gewohnt hat. Damals, vor 30 Jahren. Dessen Familie nebenan eingezogen war, kurz nachdem sie nach der x-ten Fehlgeburt ihren Beruf als Lehrerin erstmal aufgegeben hatte, um zu verkraften, dass ihr Körper keine eigenen Kinder will. Dessen hochschwangere Mutter mit den beiden älteren Zwillingsschwestern genug zu tun hatte und sich nicht um ihren kleinen Sohn kümmern konnte (wollte?), weil er eben nicht wie die Mädchen – und die beiden noch zu gebärenden Mädchen in ihrem Bauch – war. Der den ganzen Sommer mehr oder weniger bei ihnen verbrachte, sogar ein eigenes Zimmer bei ihnen hatte. Den sie lieb gewann, wie ein eigenes Kind.

Diese drei Handlungsstränge verweben sich immer mehr miteinander, Vergangenheit und Gegenwart kommen sich immer näher. Man erfährt Stück für Stück mehr über die drei Charaktere, ihre Sorgen und Nöte, was sie antreibt bzw antrieb. Der Erzählstil bleibt dabei ruhig, unaufgeregt. Und doch sind die Geschichten spannend geschrieben, so dass man dran bleiben möchte. Man möchte wissen, wie es weiter geht mit Clara, Liam und Mrs Orchard. Besonders Mrs Orchards Geschichte schien mir im ersten Moment nicht richtig zu der Gesamtstory dazu zugehören, doch dann kam die Auflösung noch. Clara war mir am Anfang unsympathisch, ihre Besessenheit ist fast schon überspitzt gezeichnet. Aber es kam auch irgendwann der Punkt, an dem ich mich gefragt habe „Wie würde ich reagieren, wenn ich an ihrer Stelle wäre?“. Und da tat sie mir irgendwie leid. Mrs Orchard macht eher die entgegengesetzte Entwicklung durch: von der liebenswerten alten Dame zu *no Spoilers*. Aber auch sie kann ich verstehen und nachfühlen. Ebenso Liam, der eine vorhersehbare Entwicklung in seiner Geschichte durchmacht. Sollte das Buch verfilmt werden, wird sich das Drehbuch vermutlich auf ihn konzentrieren, da seine Geschichte am ehesten für Hollywood geeignet ist.

Es ist ein Feel-Good-Buch, das man an ein oder zwei Nachmittagen durchlesen kann. Aber es hat eben auch seine Wendungen, die es nicht nur zum Friede-Freude-Eierkuchen-Buch verkommen lassen, die es so spannend machen, dass es schon kriminalistische, ja fast thriller-ische Anwandlungen hat. Ich habe das Buch wirklich gern gelesen und war fast ein bisschen traurig, dass es vorbei war.

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Aruba

Geboren 1981, Fränggin, im hessischen Exil lebend weil am Flughafen Frankfurt beschäftigt, Katzenpersonal, Dreirad-Rollerfahrerin, BDSM-Interessierte, übergewichtig na und?, Schokoladenliebhaberin