Demetrius. In Shakespeares Sommernachtstraum derjenige, der von der einen geliebt wird und selbst der anderen hinterher rennt. Der Quarantänekerker war noch recht jung, als wir den Sommernachtstraum als Live-Hörspiel gaben, und während des Lesens dachte ich mir „Dieser Demetrius, das ist wie bei S und mir.“ Also bekam S für die Online-Welt den Namen Demetrius. Ich wäre Helena demnach. Und die Schlampe Hermia, wobei sie nichts mit der literarischen Hermia gemein hat. In meiner Geschichte, aus meiner Sichtweise, ist sie eher … Calypso, die Nymphe aus der Odyssee. Nun gut, die Namen sind verteilt, beginnen wir unser Stück.
Demetrius. Ich habe ihn über eine Onlineplattform kennen gelernt, wo sich BDSM-Interessierte austauschen und kennenlernen können. Er wurde mir als „in meiner Nähe“ angezeigt. Ich war auf seinem Profil, er war auf meinem Profil, ich auf seinem, er auf meinem (man kann das da jeweils sehen, wer wann das eigene Profil besucht hat), so ging das ein paar Tage hin und her im Dezember 2018. Eines Abends hab ich ihn angeschrieben und ihn was zu seinem Profilfoto gefragt. Daraus entstand eine Unterhaltung. Eine wiederkehrende. Und, wie in der Szene durchaus üblich, fragte er mich nach meinen Fantasien. Und ich ihn auch nach seinen. Ich war damals noch komplett neu in dem Thema, hatte keinerlei Erfahrungen und hielt mich selbst für eine Sub. Ich schrieb ihm zwei meiner Fantasien, er erzählte mir drei von seinen. Und fragte mich dann, welche ich davon am ehesten bereit wäre umzusetzen. Ich wählte eine von meinen, Session mit einem Unbekannten. Absolut das Gegenteil von dem, was einem alle Ratgeber in Sachen Sex&Dating empfehlen. Aber irgendwas an der Art, wie er schrieb, was er schrieb, ließ mich ein gutes Gefühl haben. Ich traute diesem Fremden aus dem Internet. Und wir vereinbarten ein Treffen für kurz nach Silvester.
In den Tagen davor verunsicherte er mich noch etwas, „Wer sagt dir, dass ich dir erlaube, deinen Mantel auszuziehen, vielleicht spielen wir ja Strip-20-Fragen und nur du ziehst dich aus, vielleicht spiele ich ein Zettel-Spiel mit dir…“ sowas. Ich kam bei seiner Adresse an (mein bester Kumpel war mein Cover, ich sollte mich in bestimmten Abständen melden, schickte ihm Bilder vom Hauseingang und ich glaube sogar der Klingel) und in meinem Kopf herrschte Chaos. Das wurde dann erstmal beseitigt, weil er im vierten Stock wohnte. Nachkriegsbau ohne Aufzug. Vier Stockwerke. Zu Fuss. In Absätzen. Mit schwerer Tasche. Oy.
Ich weiß, ihr wollt jetzt Details hören von dem Treffen und alles. Kurz und gut: wir haben gefickt. Und gespielt. Das Spielen war toll. Ich weiß seitdem, ich mag Eiswürfel und Holzwäscheklammern ? Den zweiten Teil des Abends mussten wir aber abbrechen. Ich weiß bis heute nicht, ob er tatsächlich nochmal los und eine Firma kaufen mußte in der Nacht, wie er behauptete, oder ob das nur ein Vorwand war, um mich loszuwerden, weil ein Teil des Spielens nicht so geklappt hatte (ich weiß bis heute nicht, was er da von mir wollte). In den nächsten Tagen hielten wir Kontakt. An einem Abend fuhr ich sogar nochmal gegen zehn Uhr abends zu ihm, um ihm beim Aufbau seiner Küche zu helfen und nen Döner mitzubringen. Bis zu diesem Abend war ich bereit, das ganze wirklich nur als F+ zu sehen. Oder Spielbeziehung. Oder irgendwas in der Art. Dann sass ich in seiner Küche, wir hatten zwei Schubladen geschafft (Ikea), die aber nicht bündig miteinander abschlossen und sich keiner von uns erklären konnte, wieso. Ich grübelte über der Anleitung und fand (meinen) Fehler schließlich. Ich sass da und sagte ihm, was ich falsch gemacht hatte, er stand hinter mir, schaute zu, hörte sich alles an – dann sagte er freundlich „haste gut gemacht“ und drückte mir einen Kuss auf den Kopf. Eine kleine Geste, die ich gar nicht wahr nahm im ersten Moment. Der Flügelschlag des Schmetterlings, wenn ihr so wollt.
Demetrius wurde nach diesem Abend (ich bin kurz darauf wieder nach Hause gefahren, um halb zwei nachts)(damals wollte er immer noch wissen, wenn ich wieder zuhause war) immer kürzer angebunden. Ich merkte, dass da was im Busch war. Ich weiss nicht mehr, ob ich ihn zuerst drauf angesprochen hab oder er mir es von sich aus erzählte. Ich glaube, letzteres. Er berichtete mir von Calypsos Existenz. Und ich fiel in ein Loch. Das gleiche Loch, in das mich der Erzengel (von ihm werde ich ein andermal berichten) Jahre zuvor gestossen hat. Wieder ein Mann, der nach einem Treffen mit mir erkannt hatte, dass er eine andere liebt. Schon wieder nur der Katalysator, nicht das Wunschobjekt. Schon wieder „du bist nett, aber“. Ich hatte nach der Geschichte mit dem Erzengel Jahre gebraucht, um wieder zu mir selbst zu finden, aus diversen Gründen. Ich hatte gerade wieder Fuss gefasst. Ich hatte zum ersten Mal in sechs Jahren einem Mann genug getraut, um Sex mit ihm zu haben. Ich war bereit, ihn nicht nur als Dom, sondern auch mehr in mein Leben zu lassen. Und er sagte „Aber“.
Ich konnte zwei Nächte und anderthalb Tage nicht schlafen. Nach der zweiten durchwachten Nacht ließ ich mich krankschreiben, weil ich Angst hatte, auf der Arbeit einen Fehler zu machen in meinem Zustand. Ich fühlte mich wie der Coyote in Bugs Bunny, wenn er von etwas schwerem aus dem Bild geschleudert wird. Nur ohne die Lacher. Irgendwann in der Zeit meldete ich mich bei JC an und machte ein Date aus, fuhr 50km dahin, nur um 15min später schallend lachend im Auto zu sitzen und mich zu fragen, was das für ein Typ war, den ich da gerade getroffen hatte. Während ich mich im Auto umzog von Date-Outfit in normales Outfit schrieb ich Demetrius an, ob er Bock auf n Drink hätte. Er lag in der Badewanne. Da ich meinte, ich bräuchte auch noch ne Stunde bis zu ihm, erklärte er sich zu dem Drink bereit. Wir sassen in der Bar, die unsere Stammbar werden sollte, redeten, lachten. Innerhalb einer Woche hatte er mich in die größte Verzweiflung gestürzt und nun saßen wir da und lachten. Und ich dachte mir, nun gut, dann bleiben wir halt Freunde.
Ein paar Wochen funktionierte das. Freunde. Ich fuhr mehrmals die Woche in die Stammbar, wir tranken was, redeten, ich fuhr ihn nach Haus. Eines Abends war er sauer, und zum abreagieren gingen wir Lasertag spielen. Ich hatte das bis dato noch nie gespielt. Wir wurden in beiden Spielen, die wir machten, in gegnerische Gruppen zugeteilt. Einmal kam er an mir vorbeigerannt wie aus einem Film, breit grinsend über beide Ohren, mir die Zunge rausstreckend. Nach dem Lasertag kochte er bei sich zuhause für mich, saarländische Knödel (er kommt aus dem Saarland). Es schmeckte super. Der Mann kann kochen, glaubt mir. Ein paar Tage danach mußte er von einem Flohmarkt, den er organisiert hatte, die Werbeplakate entfernen. Ich half ihm, weil ich nichts sonst zu tun hatte und mich ein bisschen in der Gegend auskannte. Bis auf fünf fanden wir alle wieder. Kurz darauf musste er für einen weiteren Flohmarkt dieser Art in einem anderen Ort Plakate aufhängen. Auf der Fahrt klagte er über Calypso „huuu, ich hab wohl doch keine Freundin. Ich hab für ihren Sohn n Bett besorgt und aufgebaut, meinst du, die hätte auch nur Danke gesagt? Nix, gar nix.“ Ich stimmte ihm zu, dass das nicht in Ordnung war und dachte mir „Mein Gott, dann schieß sie ab und nimm mich“. Calypso, so erfuhr ich auf dieser Tour, war ihm etwa ein Jahr zuvor von einer Freundin vorgestellt worden, als Begleitung für irgendein gesellschaftliches Event, auf das man nicht alleine geht. Sie verhielt sich ihm gegenüber kratzbürstig. Er schickte ihr Blumen zum Valentinstag ins Büro. Sie blieb kratzbürstig. Er kaufte sich in die Werbeagentur ein, in der sie arbeitete. Sie stieg aus. Er zeigte ihr eine Liste mit BDSM-Praktiken. Sie war entsetzt und sagte zu fast allem „Niemals!“. So zumindest lauteten seine Erzählungen. Und als wir an einer ehemaligen Müllhalden vorbei fuhren und er erzählte, dass sie sich da das erste Mal geküsst hätten, dachte ich mir nur „Alter, wie billig ist das denn! Nimm mich verdammt nochmal, ich hab mehr Niveau in meinem Fingernagel als diese Puppe!“ Im Nachhinein betrachtet eine gute Masche, die Calypso da abzog mit ihm. Sich von der unnahbaren Seite zeigen, kratzbürstig as hell sein. Dumme Schl…. Weiter im Text. Demetrius flog mit seinem kleinen Sohn in Urlaub, zwei Wochen Spanien bei seinen Eltern. Ich begleitete die beiden bis zum Gate. Sein Sohn ist so ein süßer Kerl. Riesige Knopfaugen, Wuschelhaare, ein Traum. Ich dachte mir, gut, jetzt ist er zwei Wochen in Spanien, mit seinem Filius, da wird er Calypso hoffentlich vergessen. Wir schrieben, nahezu täglich. Und telefonierten auch ab und zu. Er hatte einige Häuser in der Gegend dort gefunden, die ihm gefielen, von denen er gern eines kaufen wolle, denn sein Business (Unternehmensberatung, Family Office, die Leitung der beiden Werbeagenturen) konnte er auch von da unten betreiben, sagte er. Die Bilder, die er schickte, waren toll. Meer ist immer toll. Ich war ein bisschen traurig, dass ich diesen Freund, den ich gerade gefunden hatte, dessen Anwesenheit mir so viel gab, jetzt vielleicht wieder verlieren könnte. Aber auswandern, wer träumt nicht davon? Und er konnte es sich ja leisten, nach allem, was er mir über seine Vermögensverhältnisse bisher erzählt hatte. Also war ich bereit, ihm das zu gönnen. Und fragte ihn, was ihn abhielte.
Er schickte ein Bild. Von IHR. Schlecht blondiert. Zahnlücke. Instagramlächeln. Eine menschliche Barbiepuppe.
Ich schrieb ihm, er solle mir nie wieder Bilder von Puppen schicken. Er lachte.
Ich hasste sie. Von dem Moment an, wo ihr Bild auf meinem Display erschien. Meine Zukunft wurde von einer Barbiepuppe zerstört. Er liess MICH sitzen für DAS DA? Sein Ernst? Für dieses künstliche Lächeln? Für dieses „Hahaha, ich bin ja so süß wenn Daddy mir was kauft“Kind? Mich? Das wohl niveauvollste und höflichste Wesen, das je seinen Weg gekreuzt hatte? Für DIE?
Würg.
Ich wollte Demetrius jetzt endgültig für mich. Er musste von dieser falschen Person weg. Er sollte sich mir zuwenden und mit mir glücklich werden, dann wäre uns beiden geholfen. Wir hatte ähnliche Vorlieben, wollten beide noch Kinder, hatten nahezu gleiche sportliche Interessen, mochten die gleichen Reiseziele…..so vieles zwischen ihm und mir schien sich zu decken. Und was er von ihr erzählte, das passte gar nicht. Sie hatte zwei Kinder von zwei Männern, wollte keine mehr, interessierte sich nicht für ihn (siehe oben), teilte keine Interessen mit ihm…was wollte er von der? Nur, weil sie nicht zu haben war? Nur, weil das seinen Jagdinstinkt anfachte? Er sagte, er mag, dass er sich mit ihr streiten kann. Toll. Und? Wäre es nicht besser, diese Energie für was anderes zu nehmen? Ich wollte ihm zu diesem Zeitpunkt den Rücken freihalten, ein Konzept, dass in meinen Augen viel zielführender für eine Beziehung ist. Beide Partner sollten sich unterstützen, dann können sie gemeinsam wachsen. Streit ist da kontraproduktiv. Egal, wie ich es drehte und wendete, ich war die bessere Wahl für Demetrius. Ja, natürlich ist man selbst die bessere Wahl, immer. Aber ich versuchte das ganze auch rational zu sehen, nicht nur emotional. Und auch rational machte es Sinn. Selbst wenn ich nur auf einer Stufe mit ihm stand und nicht über ihm wie ich dachte, wäre ich immer noch besser als ….sie. Noch dazu frei, unabhängig, freundlich, anschmiegsam. Und mit hervorragenden Zähnen. Ich war, ich bin besser.
Werbepause.
24.06.2020