Ich habe mal wieder ein Nachtdienstwochenende. Ich darf mal wieder arbeiten. Zumindest hab ich das heute Nachmittag zu Mama so am Telefon gesagt. Ich darf mal wieder arbeiten. Corona ist hier am Flughafen immer noch zu spüren, die Flugbewegungen sind nur noch ein Viertel dessen, was wir im letzten Jahr um diese Zeit hatten, die Passagierzahlen teilweise sogar nur 10% im Vergleich zum Vorjahr. Es ist ungewöhnlich, Fluggesellschaften wie Tui und Ryanair am Terminal 1 stehen zu sehen. Oder die Condor am Gebäude. Es ist alles anders dieser Tage, zumindest manchmal.

Ich darf mal wieder arbeiten. Dass ich das mal mit einer gewissen Freude sagen würde, hätte ich vor 8 Monaten auch noch nicht gedacht. Da sah ich mich eher auf meinen nächsten Burn Out zu steuern. Jetzt sitze ich da und bin froh, dass es diese weltweit verordnete Pause gibt. Ich habe wieder einen normalen Biorhythmus und schlafe nachts wieder durch. Ich geniesse die Tage zuhause, wenn ich in meinem Tempo machen kann, was ich mir vorgenommen habe. Ich hatte Anfang des Jahres eine Aufräumerin da und hatte den letzten Termin abgesagt, weil ich überfordert war. Jetzt bin ich soweit, dass ich diese bisherigen Aufräumaktionen für mich zum einen psychisch aufarbeiten als auch tatsächlich nacharbeiten kann. Es mag bescheuert klingen, aber mich belastet so eine Aktion durchaus sehr. Nicht, weil Dinge wegkommen. Sondern weil meine bisherige Ordnung durcheinander kommt. Weil die Sachen nicht mehr da liegen, wo mein Kopf sie bisher wusste. Und DAS macht mir Probleme. Ich würde gerne mit meiner Therapeutin besprechen, was das ist, was mich diese neue Ordnung nicht annehmen läßt. Von der habe ich allerdings noch nichts gehört, seit ich im …Januar? Februar? mal in der Notfallsprechstunde war und um ne neue Therapie gebeten hab. Ich will aber auch nicht wirklich anrufen und nachfragen, weil es mir wiederum nicht soooo schlimm geht und andere den Therapieplatz – gerade jetzt mit den Corona-Auswirkungen – sicher dringender brauchen. Wenn jetzt diese Frage käme „Wie sehr belasten Ihre Probleme Sie?“ würde ich irgendwas im unteren Bereich antworten, 3 bis 5 oder so. Bei mir hat Corona den umgekehrten Effekt wie bei den meisten: während viele Angst haben und nicht wissen, was sie machen sollen, komme ich zur Ruhe und kann alles in meinem eigenen Tempo aufarbeiten. Meinen Haushalt, meine Probleme, … ich habe die Zeit, mich darum zu kümmern, ohne den Druck, bis morgen mit irgendwas fertig sein zu müssen weil dann das nächste Irgendwas auf dem Terminplan steht. Das einzige, was mich tatsächlich immer wieder mal belastet, ist die Sache mit Demetrius und auch dem Laden. Wenn die Sachen hochkochen, bin ich auf der Skala schon mal bei 7. Aber auch da hilft mir die Zeit, die Corona mir verschafft. Ich bleibe dann zuhause, heul mich aus, schlaf mich aus. Erzähle auf twitter, dass es mir deswegen gerade nicht so gut geht. Und dann geht es mir schon wieder etwas besser.

Ich habe endlich die Zeit, mein eigenes Tempo zu gehen. Es ist ein langsames Tempo, vielleicht für viele zu langsam. Ich gehe meinen Weg halt nicht in forschem Schritt voran, sondern bleibe immer wieder stehen, schaue mich um, gehe vielleicht mal ne andere Abzweigung weil der Baum da hinten um die Ecke so lustig ins Bild ragt, geniesse den Regen, mache Brotzeit. Viel Brotzeit. Wenn ich 100% arbeite, fühle ich mich wie eine Kuh, die umgestallt wird mit diesem komischen Gestell. Diese Fahrgestelle, in die die Kuh hinein getrieben wird und dann mitlaufen muss zu neuen Weide. Und eben dieses MUSS laugt mich aus. Du musst einkaufen, du musst arbeiten, du musst Wäsche waschen, du musst zum Arzt, du musst deine Eltern besuchen, du musst deine Mädels treffen, du musst dies, du musst das. Es sind alles selbstauferlegte Muss, und ich weiß irgendwo in den Tiefen meines Gehirns auch, dass ich diese Muss durch andere Formulierungen ersetzen kann und es auch sollte, wenn es zuviele Muss werden. Da, das nächste: du musst die Musse ersetzen, um nicht so viel zu müssen.

Es regnet mal wieder im Moment. Und eine Gewitterwarnung ist auch draussen. Gewitter am Flughafen des nächtens ist immer besonders eindrucksvoll. Durch die Rundumsicht im Tower wirken die Blitze noch größer und imposanter. In der Nacht strahlen sie heller, und mit den Lichtern des Flughafens ergibt das eine unglaubliche Kulisse. Der Regen prasselt gegen die schrägen Scheiben des Turms, perlt ab und fliesst in langen Bächen nach unten. Für Sekundenbruchteile wird die Kanzel vom hellen Schein eines Blitzes erleuchtet. Durch die dicken Glasscheiben hört sich das Donnergrollen wie in weiter Ferne an. Auf dem alten Radar kann man den Regen über den Platz ziehen sehen, das Radar wird an diesen Stellen ganz grieselig. Auf dem Vorfeld kann ich im Licht der Scheinwerfer das Wasser über die Positionen treiben sehen, wie Sand, der vom Wind verweht wird. Bei den nahen Blitzen flackern die Monitore über mir. Es regnet so heftig, dass das Aerodromebeacon auf dem Tower einen Lichtkegel wie im Nebel wirft. Regen ist mir lieber als Nebel. Regen zieht vorbei, Regen sieht man im Radar. Nebel verschluckt ganze Teile des Flughafens. Wenn wir im Herbst nachts Nebel haben, kann es passieren, dass wir den Süden nicht mehr sehen. Es ist dann nur noch ein schwarzes Loch dort, wo eben noch Flugzeuge und Leuchtmasten waren. Kein Wunder, dass die ganzen Horrorfilmregiesseure mit so Titeln wie „Nebel des Grauens“ Erfolg haben. Es hat was gruseliges, so ein Nebel in der Nacht. Ne, dann lieber Gewitter.

Gewitter am Flughafen ist nicht ohne. Ich hab vor ein paar Jahren mal erlebt, dass ein sog.WalkOut (das sind die Jungs und Mädels, die bis zuletzt mit einem Headset neben dem Flieger her gehen – deswegen WalkOut – und warten, bis die Triebwerke richtig laufen) einen Blitz abbekommen hat, der eigentlich hinten ins Leitwerk des Flugzeuges eingeschlagen ist. Der Blitz suchte sich seinen Weg in die Erde am Flugzeug entlang durch das Headset und den Mann durch. Wenn ihr also mal während eines Gewitters landet (sofern der Pilot landen darf) und anschliessend nicht aussteigen dürft, keep calm. Ja, ihr sitzt dann in ner Sardinenbüchse fest. Aber diese Sardinenbüchse fungiert als Faradayscher Käfig und beschützt euch. Lieber 5min Sardinenbüchse als 1.21 Gigawatt Blitzeinschlag. Und wer dem Abfertigungspersonal das zumuten will, sollte bitte in Zukunft Bahn fahren.

Ok, ich hab wieder recht wirres Zeug geschrieben. Das ist in nem Nachtdienst so. Die Gedanken fliessen. Aus meinem Hirn, in die Tastatur, irgendwohin, unbestimmt. Sie machen Platz im Kopf für andere Sachen, andere Gedanken, die dann auch irgendwann irgendwohin fließen. Meistens verpuffen sie ohne große weitere Beachtung. Wenn sie mich sehr beschäftigen, landen sie auf Twitter. Wenn ich Zeit habe, landen sie hier. Denn darum schreibt man doch Blogs, oder? Um diesen ganzen Gedankenwust irgendwie loszuwerden. Es ist wie öffentlich Tagebuch zu schreiben. Nur dass es eben kein Tage-, sondern ein … „Wenn ich Lust und Laune und Zeit und Worte hab“buch ist. Vielleicht interessiert es jemanden, vielleicht nicht. Aber mein Kopf ist es los, hat es verarbeitet. Ob Blog schreiben als Therapie gilt? Es gibt, soweit ich weiß, eine Therapieform, in der man Tagebuch führt. Ich weiß nur nicht mehr, wie die heisst und bei welchen Problemen das eingesetzt wird. So gesehen ist das hier ein bisschen Therapie für mich. Wenn ich schon nicht zu meiner Therapeutin kann, dann kann ich es wenigstens erzählen. Nur dass dann eben nicht ein paar bestimmte Tröpfchen herausgeschöpft werden, sondern ich das, was sowieso am überlaufen ist, beschreibe. Mir tut das gut. Es hat was von diesem automatischen Schreiben, das Autoren machen sollen, wenn sie ne Schreibblockade haben. Ich hoffe ja irgendwie auch, dass dadurch mein Gehirn genug angekurbelt wird, dass ich die eine Geschichte weiterschreiben kann, die ich vor zwei Jahren angefangen habe. Neulich habe ich den Satz gehört, „Wenn dich deine eigene geschriebene Geschichte langweilt, langweilt sie auch den Leser.“ Unbewusst habe ich mich daran gehalten. Ich schreibe die Geschichte also nicht um jeden Preis weiter, sondern nur, wenn ich eine gute Idee dazu habe. Aber meine Ideen sind auch langsam und gehen ihre eigenen Wege. Deswegen habe ich auch mit den Kurzgeschichten hier angefangen. Kurzgeschichten sind einfacher für mich in diesem Moment. Man muss nicht ganz so viel beschreiben, kann schneller die Stimmung aufbauen und zum Punkt kommen. Ich habe mir vorgenommen, das mit dem Schreiben mit den Kurzgeschichten zu üben. Dazu müßte ich regelmäßig Kurzgeschichten schreiben. DA, schon wieder ein müßte! Die kleinen Mistdinger verstecken sich aber auch überall in meinem Kopf.

Ich denke, ich höre hier mal auf. Da kommt nämlich noch ein „müßte“ in mir auf, aber eins physiologischer Natur. Stichwort Porzellan weil Getränk. So denn…


Aruba

Geboren 1981, Fränggin, im hessischen Exil lebend weil am Flughafen Frankfurt beschäftigt, Katzenpersonal, Dreirad-Rollerfahrerin, BDSM-Interessierte, übergewichtig na und?, Schokoladenliebhaberin