Von vorne. Ich habe Demetrius Anfang 2019 kennen gelernt. Demetrius ist ein Macher, packt an, treibt voran wenn er denkt, damit ist Geld zu machen. Er bezeichnete sich selbst mir gegenüber mal als narzisstischer Psychopath. Er kann gut reden, mit wenigen Worten jemanden von seinen Ideen und Visionen überzeugen. Vielleicht ist es das, was mir an ihm gefällt. Oder dass er ein Gustav Gans ist, der immer Glück zu haben scheint, egal was er anpackt. Ich weiß es nicht genau. Aber irgendetwas war da, ist da, was mich an diesem Mann fasziniert. Mich an ihm festhalten ließ. Und Demetrius hatte sich jetzt in diesem Handyladen engagiert, wollte ihn auf Vordermann bringen, weil da Geld zu machen sei mit solchen Reparaturen. Eines Abends im März 2019 fragte er mich bei nem Drink in unserer Stammbar völlig ohne Vorwarnung von der Seite „Hast du nicht Bock, Geschäftsführerin zu werden?“. Ich mußte nur müde grinsen. Ich hatte ja schon nen Vollzeitjob am Flughafen, Schichtdienst. Und von Geschäftsführung mal so überhaupt keine Ahnung. Musste man dafür nicht studiert haben? Sollte man es nicht besser haben? Egal, jedenfalls lehnte ich dankend ab. Er ließ nicht locker. Immer wieder fragte er in den folgenden Wochen, ob ich nicht Lust auf den Geschäftsführerposten hätte. Irgendwann, mehr um ihn endlich zum Schweigen zu bringen denn aus wirklichem Interesse, fragte ich, was ich denn da tun müßte als Geschäftsführerin. Demetrius malte mir das (natürlich) ganz rosig und easy aus. Paar Rechnungen bezahlen, vielleicht Bestellungen tätigen, nach aussen hin das Gesicht der Firma sein. Alles von zuhause zu schaffen mit etwa einer Stunde Onlinearbeit pro Tag. Und wenn der Laden so gut lief nachdem er ihn erstmal fertig auf Kurs gebracht hätte, wäre da locker n zweites Jahresgehalt drin. Damit hatte er mich am Haken. Ich wollte schon länger am Flughafen in Teilzeit, aber gerade die finanziellen Einbußen ließen mich noch vor diesem Schritt zurück schrecken. Und jetzt war da ne Möglichkeit, nicht viel zu tun, trotzdem genug Geld machen, dass es reicht meinen Standard zu halten. Vielleicht noch n paar Extras, Demetrius rechnete mir vor, wie ich Kosten aus meinem Privatverbrauch in die GmbH auslagern könnte, Handy, Tanken, neues Auto vielleicht. Wenn man das lange genug vorgerechnet und schön geredet bekommt, hält man sich für dumm, wenn man da nicht mit einsteigt. Der alte Geschäftsführer wollte raus, hat innerhalb von sechs Wochen mit der GmbH nahezu abgeschlossen und einen Friseursalon aufgemacht. Demetrius hat sich weiter um den Handyladen gekümmert und die Übernahme vorbereitet. Und ich, ich wollte auch mal Glück haben. Wollte auch endlich das große Geld verdienen und auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Also hab ich mein Bauchweh ignoriert und bin mit eingestiegen. Hätte ich mal auf mein Bauchgefühl gehört….
Den ersten Dämpfer gab es kurz nach der Unterzeichnung des Übernahmevertrages. Wir waren nach Stuttgart gefahren, Demetrius kam mit seiner Mutter aus dem Saarland, ich per Zug aus Frankfurt. Beide ne Stunde spät. Der alte Geschäftsführer D und sein Freund E, mit dem er die Gesellschaft gegründet hatte, warteten schon auf uns. D verkaufte Demetrius seine Anteile für einen symbolischen Euro, ich kaufte insgesamt 30% von E. E behielt 40%. Nachdem wir den Verkauf mit nem Kaffee begossen hatten, klingelte mein Handy. Ein Mann, von dem ich noch nie gehört hatte, fragte, ob ich die Geschäftsführerin sei und im selben Atemzug „Dann werde ich Sie jetzt persönlich verklagen!“ Ich wusste nicht, wie mir geschieht, ließ das Handy sinken, rief aus voller Kehle Demetrius zurück und war nur noch perplex. Was war hier gerade los? Ich hatte gerade erst einen Vertrag unterschrieben, warum wollte mich da gleich jemand verklagen? Es stellte sich heraus, dass der Mann am Telefon der Vermieter der Ladenräumlichkeiten war und Miete einforderte, die nicht gezahlt worden war wegen eines Wasserschadens. Demetrius, D und E versicherten mir, der Kerl wäre ein Dreckskerl und es läge alles beim Anwalt und ich solle mir keine Sorgen machen. Aha. Ok. Da alle drei weiter mußten, stand ich da nun. Mitten in Stuttgart, immer noch mit einer Mischung aus Schock und Euphorie in den Gliedern. Und mein Bauchweh grummelte weiter.
In den folgenden Wochen wurde es nicht besser. Die Stadtwerke wollten ihre Aussenstände haben und drohten mit Stromabschaltung, Lieferanten wollten Geld, hier Rechnungen, da was zu bezahlen, und viel Geld kam nicht rein. Ich wußte nicht mehr, wie das funktionieren sollte, v.a.wie wir die Stadtwerke bezahlen sollten. Demetrius hatte mir aufgetragen, dort anzurufen und um Aufschub zu bitten, und obwohl ich gesagt hatte was er mir aufgetragen hatte, lehnte die Dame ab. Demetrius rief selber dort an und erreichte das scheinbar mühelos. Anschließend blaffte er mich an, warum er das jetzt wieder gerade biegen hätte müssen, das wäre mein Job, er hätte auch nix anderes gesagt als was er mir aufgetragen hatte und und und. Ich kam mir in dem Moment absolut kraft- und mutlos vor. Ich wollte nicht, dass er mich anblaffte, ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war, ich wollte aber auch nicht verantwortlich gemacht werden weil ich vor solchen Situationen noch nie gestanden hatte und nicht wusste, wie ich damit umzugehen hatte. In diesem Moment wollte ich auch nicht mehr weitermachen. Ich hatte an diesem Tag noch einen Termin bei einem Anwalt wegen etwas anderem, aber als ich bei ihm im Büro saß, habe ich mich erstmal ausgeheult und ihn gebeten, sich alle Unterlagen anzusehen und mir zu sagen, wie ich da wieder raus käme. In den folgenden Tagen bekam ich ein Schreiben von ihm, das mir empfahl, die Geschäftsführertätigkeit niederzulegen und wie ich das meinen zwei Mitgesellschaftern schriftlich zukommen lassen sollte. Nachdem ich nochmal darüber nachgedacht hatte, habe ich das dann auch gemacht. E nahm das Einschreiben an, das für Demetrius kam nach zwei Wochen zurück, weil er nicht da war bei Annahme und es auch nicht bei der Post abgeholt hatte. Also habe ich ihn das irgendwann persönlich unter die Nase gehalten und unterschreiben lassen. Er hat nur kurz gelacht. Dem Handelsregister gegenüber habe ich die Meldung aber noch ruhen lassen, denn in den nächsten Wochen lief es dann wieder besser. Sowohl mit dem Laden als auch mit der Freundschaft mit Demetrius. Wir zogen eine Weile wieder am gleichen Strang. Was auch daran lag, dass zwei Dinge gleichzeitig passierten, für die Demetrius meine Unterstützung brauchte: Nummer eins, E wollte seine 40% verkaufen, um sich wieder wie ursprünglich geplant voll auf die Franchisegeberseite konzentrieren zu können, zu der er eigentlich gehörte (ach ja, das ganze ist ein Franchise, hätte ich noch sagen sollen). Demetrius hatte E irgendwann so weit, dass dieser ihm die 40% für einen weiteren symbolischen Euro verkaufte. Der Verkauf ging nicht ganz so glatt über die Bühne wie die Übernahme, aber schließlich wurde es doch noch was. Demetrius und ich waren jetzt die einzigen beiden Gesellschafter, er der Mehrheitsgesellschafter mit 70%, ich Geschäftsführerin. Wie ich dachte, ein ausgeglichenes Machtverhältnis, da wir beide ein gutes Argument für ein Veto hatten für den Fall der Fälle. Der zweite Grund, warum es mit Demetrius und mir wieder besser lief, war, dass sein Auto den TÜV nicht überlebte. Er brauchte ein neues und überzeugte mich – damals natürlich relativ leicht -, dass wir dieses auf die GmbH zulassen sollten und über die GmbH finanzieren würden. Und ich es im Sommer, wenn er quasi nur mit dem Rad unterwegs wäre, auch fahren könne. Er hatte ein BMW Z4 Cabrio von 2004 ins Auge gefasst. Stand bei einem Händler in Werne. Also sind wir hingefahren zwecks Probefahrt. War ein toller Roadtrip, ich denke gerne daran zurück. Wie gesagt, damals war die Freundschaft aus einem Hoch. Der Z4 sollte €12000 kosten. Weil D für das Jahr 2018 keine richtige Bilanz hatte und keinen Jahresabschluß, bekamen wir keinen Bankkredit. Demetrius überredete mich, einen Privatkredit aufzunehmen, mit dem Argument „nach spätestens nem halben Jahr lagerst du den in die GmbH aus und holst dir die Raten wieder zurück“. Klang einfach. Es klang immer einfach, was er sich dachte. Also nahm ich den Kredit auf meinen Namen auf. Ich weiß noch, wie wir im Laden standen, eine Woche bevor wir das Auto holen wollten, der Kredit war endlich durch, und Demetrius war in einer Hochstimmung wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Neues Spielzeug macht glücklich. Wir fuhren wieder nach Werne, nahmen Demetrius‘ kleinen Sohn mit, damit der gleich Papas neues Auto sehen konnte, und es fühlte sich wieder alles richtig an.
Der nächste Dämpfer ließ nicht lange auf sich warten. Anfang November erfuhr ich, dass schon unter D der Mietvertrag für den Laden gekündigt worden war und wir noch neue Räumlichkeiten brauchten. Ab 01.01.2020. E war aufgrund von Verzögerungen noch Gesellschafter. In dem Chat, in dem Demetrius und E mir mitteilten, dass wir zum 31.12. aus den alten Räumen raus gehen würden, sagten sie mir auch, dass ich mich nach neuen Ladenräumen umsehen sollte. Auf meine Frage, welche Voraussetzungen diese erfüllen sollten, antwortete mir nur E. Also tat ich das, was ich bei einer Wohnungssuche auch tun würde: ich durchsuchte die Onlineanzeigen. Mit den mir gesteckten Grenzen fand ich aber gerade mal drei potentielle Geschäfte, und alle nicht so das Gelbe vom Ei. Eines Tages stand Demetrius da und meinte, er hätte beim Spaziergang mit seinem Kleinen nen Laden gefunden, eine Querstrasse weiter, Makler hatte er auch schon kontaktiert, Miete klang annehmbar. Und wieder ein Querschuss gegen mich, warum er das wieder hätte gerade biegen müssen. Der Laden war größer als das, was mir genannt war, und letzten Endes auch teurer. Ich kenne mich in der Innenstadt nicht so gut aus, muss 30min fahren, bis ich dort bin, Demetrius läuft 10min von seiner Wohnung. Wie sollte ich da wissen, wo welche Ladengeschäfte leer stehen? Egal, ich schluckte meinen eigenen Ärger wieder runter. Demetrius verhandelte noch mit dem Makler bessere Konditionen aus, und vor allem: er versprach, sich um die Kaution bzw die Kautionsversicherung zu kümmern. Das war Mitte November. Ich unterschrieb also den Mietvertrag. Anfang Dezember stand dann die Frage langsam im Raum, wohin mit der Einrichtung aus dem Laden bis zum Einzug in die neuen Räumen? Demetrius rechnete mir vor, dass es nur ein paar Tage dauern würde, bis wir die neuen Räumen beziehen könnten, wegen Silvester usw. Maximal 14 Tage, meinte er. Ich erklärte mich bereit, die Einrichtung für diese 14 Tage bei mir in der Garage unterzubringen. Dann müßten wir kein extra Lager dafür mieten. Ausserdem hatte ich meinen Papa als Helfer mobilisiert, da er einen Anhänger hat, wo einiges drauf passt. Also räumten wir am 27.12. den Laden größtenteils leer und schafften einiges in meine Garage. Am 29. auch nochmal. Insgesamt fuhr Papa dreimal mit vollem Hänger vom Laden zu mir, vollgepackte Autos fuhren noch öfter. Dabei hatte Papa jedesmal eine Anfahrt von 100km noch dazu. Demetrius riss dazu noch eine Rigipswand raus und holte die letzten Kleinigkeiten raus, die nicht mehr auf den Hänger bzw in die Garage gepasst haben. Zu dem Zeitpunkt hatte er die Kaution immer noch nicht organisiert. Hätte er es getan, hätten wir die Einrichtung vielleicht sogar direkt in die neuen Ladenräume bringen können. Tja. Stattdessen stehen Tresen, Schränke und anderes Zeug seit Ende 2019 in meiner Garage. Und mein Auto auf der Strasse.
Denn mit dem Jahreswechsel 2019/2020 ging es in der Freundschaft zwischen Demetrius und mir nur noch bergab. Angeblich war er eine Woche in Dänemark, ich weiß aber, dass er bei der dummen Kuh war, die er „Freundin“ nennt. Und mich und den Laden einfach nicht beachtet hat. Er meinte in der Zeit auch lapidar auf meine Frage nach der Kaution „Versicherung X machts nicht, frag mal bei der Bank nach“. Ich fiel – mal wieder – aus allen Wolken. Er hatte zwei Monate lang gesagt, er würde sich drum kümmern, und jetzt sollte ich das machen? What the hell? Als ich zu bedenken gab, dass die Bank wohl auch wieder absagen würde aufgrund der vorherigen Erfahrungen mit solchen Anfragen, meinte er nur „ja dann schiess ich das Geld privat rein“. Darauf verließ ich mich. In der dritten Januarwoche fiel ich erneut aus allen Wolken, weil es plötzlich hieß, Montag wäre Übernahme. Und zwar von dem PopUp Store in Weinstadt. Mein Wissensstand zu dem Zeitpunkt war „Ja, wir übernehmen, aber dauert noch“. Ein genaues Datum war mir nie genannt worden. Und plötzlich hiess es Montag. Da wurde ich dann auch mal kurz sauer und laut. Es hatte was von vor-vollendete-Tatsachen-gestellt-werden. Ich schaufelte mir also den Montag frei und fuhr nach Weinstadt, um nach aussen hin zu repräsentieren und gute Miene zu machen. Also genau das zu machen, was laut seiner Aussage vom Anfang meine Aufgabe sein sollte. Und seitdem geht nichts mehr. Demetrius ist unter der Woche in Weinstadt und betreibt dort den PopUp Store, ich habe meinen Job am Flughafen weiterhin, meine Garage ist vollgestopft mit Ladenzeug, auf dem Konto kommt nur wenig rein, gerade genug, damit der PopUp sich selber trägt, und die Rechnungen werden immer mehr und immer höher. Der Makler will Geld, die Buchhalterin will Geld, die Steuerberatung will Geld, das Franchise will Geld….aber es kommt nicht genug rein mit nur einem Laden. Und ich weiß nicht, ob Demetrius die Kaution jetzt gezahlt hat oder nicht. Ob es mit dem Laden überhaupt weitergehen kann. Demetrius sagte Ende Januar, er hätte jemanden, der in Weinstadt arbeiten könne. Ab und zu tut dieser jemand das wohl auch. Trotzdem fährt Demetrius weiterhin jede Woche runter. Seit 20.01.2020.
Ich habe also das einzige gemacht, was mir als letzter Ausweg erschien. Ich habe mich an einen Anwalt gewandt und bereite eine Insolvenzeröffnung mit ihm vor. Laut meiner Rechnung haben wir Aussenstände von mindestens €48000 und nicht mal €2000 auf dem Konto. Von den Franchisegebern, E und N, erfuhr ich in der letzten Februarwoche, dass Demetrius ihnen gegenüber wohl gesagt hat, wir wären nicht zahlungsunfähig, es geht weiter. Mein Anwalt fordert jetzt von ihm eine Erklärung, warum er das denkt. Bzw hat das ganze so formuliert, dass Demetrius die Kassenbestände und entsprechende Unterlagen liefern soll. Ich weiß nicht, was ich machen soll, was ich bezahlen soll, wem ich was sagen soll. Ich weiß nicht mehr weiter. Mit Demetrius selber kommuniziere ich seit Anfang Februar nicht mehr. Er reagiert weder auf meine Nachrichten noch auf meine Anrufe. Er wirft mir das selbe vor, versucht es aber fast nur über einen einzigen Kanal. Und ich habe Angst, dass ich etwas falsch mache in dieser Vor-Insolvenzphase, deswegen mache ich wenn dann nur noch etwas nach Rücksprache mit dem Anwalt. Seit der zweiten Märzwoche sind im Kassensystem keine Umsätze verzeichnet, keine Ahnung warum. Möglich, dass das franchiseigene Kassensystem endlich online ist. Aber keiner sagt mir was. Ich habe im Moment einfach nur noch Angst. Vor allem finanzielle Angst.
10.03.2020